Was bringt uns die Familien-Initiative? – Idea Spektrum

Was bringt uns die Familien-Initiative? – Idea Spektrum

Was bringt uns die Familien-Initiative? – Idea Spektrum 715 358 Philipp Hadorn

PRO

Eine Milliarde ist eine Menge Geld. Mit der Initiative entgeht dem Bund und den Kantonen zusammen dieser Betrag. Eine Summe, die aber dem Staat aus meiner Sicht nie gehört hat und ein Hinweis dafür ist, dass die Schweiz in Sachen Familienpolitik noch einiges zu tun hat. Tragfähige Familien sind entscheidend für das Wohlergehen der Schweiz. Bei ihrem Stellenwert und somit ihrer Unterstützung gibt es einigen Nachholbedarf. Ein Beispiel: Im Vergleich mit skandinavischen Ländern setzt die Schweiz einen dreimal kleineren Betrag des Bruttosozialprodukts für die Kinder und Familien ein. Dankbar bin ich für die Kinder- und Ausbildungszulagen. Dies ist eine wichtige Unterstützung unserer Familien. Der Staat hat dies erkannt.Dies ist für unsere Schweiz eine Errungenschaft. Auf den ersten Blick scheint dies in Bezug auf unsere Familienpolitik somit fortschrittlich und gut gelungen. Beim näheren Betrachten ist es aber ein weiteres Beispiel, um aufzuzeigen, welchen Stellenwert die Familie in der Schweiz hat und in welchem „familienpolitischen Entwicklungsland“ wir uns befinden. Es ist unverständlich, dass diese Zulagen besteuert werden, obwohl sie mit dem Zweck geschaffen wurden, die Kaufkraft der Familien zu stärken. Ziel dieser Zulagen wäre es, die zusätzlichen Kosten für die Ausbildung der Kinder bzw. Jugendlichen teilweise zu kompensieren. Doch nun profitiert der Staat, und zwar ohne vernünftigen Grund und auf dem Buckel der Kinder und ihrer Familien. Widersprüchlich ist es zudem, dass der Staat den Arbeitgebern auf der einen Seite vorschreibt, diese Zulagen voll zu bezahlen, auf der anderen Seite von den Arbeitnehmern, die Zulagen erhalten, mittels Steuern einen Teil dieses Geldes wieder einkassiert. Dies gilt es durch den neuen Verfassungssatz zu verhindern und wenigstens in einem Bereich den Kindern und Familien wieder Vorrang und einen angemessenen Stellenwert zu geben. Also: Ja zur Familien-Initiative!

Lilian Studer ist Grossrätin / Fraktionspräsidentin der EVP im Kanton Aargau und Geschäfts­führerin des Blauen Kreuzes AG / LU. Sie wohnt in Wettingen AG.

KONTRA

Im Gleichzug zur Ungewissheit der Franken-Euro-Entwicklung stimmen wir über die CVP-Familien-Initiative ab. Endlich eine Vorlage, die den Familien echte Entlastung bietet, oder? Die Botschaft des Bundesrats zeigt die Wirkung: Eine Familie mit zwei Kindern spart bei Annahme der Familieninitiative auf Bundesebene satte 3000 Franken. Dummerweise zeigt das Beispiel eine Familie mit einem Brutto-Jahreseinkommen von 200 000 Franken. Der Bundesrat zeigt in der Botschaft ein anderes Beispiel mit der gleichen Familiengrösse, aber einem Einkommen von 70 000 Franken: Einsparung gerade noch 154 Franken. Ja, die Familien-Initiative mit der Steuerbefreiung von Kinder- und Ausbildungszulagen nützt nur den sehr gut Verdienenden. Der prognostizierte Einnahmenrückgang von rund einer Milliarde verlangt Spar-Kompensationen. Dies muss in der Bildung, beim öffentlichen Verkehr, dem Sozialwesen oder bei der Prämienverbilligung sein. Letzteres probt der Kanton Solothurn; die Vorlage kommt gleichzeitig zur Referendumsabstimmung. Kennen wir Familien es nicht, wie die Elternbeiträge für Schullager, Musikunterricht, Ausflüge und Material in den vergangenen Jahren zunahmen? Kennen wir nicht Erhöhungen von Gebühren für Abfall, (Ab-)Wasser und staatliche Dienstleistungen? Der Nationalrat empfiehlt mit 131 zu 39 Stimmen die Ablehnung (SP 100 %, FDP 92 %, SVP 98 %, GLP 100 %, CVP 32 %, EVP 1 Stimme Ablehnung, 1 Enthaltung). Wenn uns Christen Erhalt und Wert der Familie wichtig sind, gilt es nachhaltige Unterstützung aufzubauen, nicht nur für Reiche: Kindergutschriften, höhere Familienzulagen, Elternurlaube, kostenlose Beratungsangebote, bedarfsabhängige Ergänzungsleistungen – ohne die Steuerprogression auszuhebeln. Die Kaufkraft von Familien in mittleren Verhältnissen ist zu erhalten. Somit sind die Weichen sozialpolitisch und volkswirtschaftlich richtig zu stellen. Deshalb: Nein zu solchem Etikettenschwindel!

Philipp Hadorn ist Nationalrat der SP und ­Präsident der Gewerkschaft SEV-GATA sowie des Blauen Kreuzes Schweiz. Er wohnt in ­Gerlafingen SO.

Darum geht es 

Die Initiative will Familien entlasten, indem Kinder- und Ausbildungszulagen von der Einkommenssteuer befreit werden. Argumente dafür: Es ist falsch, Kinder- und Ausbildungszulagen als Bestandteil des Einkommens zu besteuern. Familien werden sofort entlastet, unabhängig vom gewählten Lebens- und Erwerbsmodell. Speziell profitieren mittelständische Familien. Es macht keinen Sinn, dass die Arbeitgeber jährlich 5 Mia. in die Kinderzulagen investieren und der Staat davon 1 Mia. über Steuern wieder abschöpft. Argumente dagegen: Es besteht kein ­unmittelbarer Handlungsbedarf. Die Massnahme führt zu Steuerausfällen von fast 1 Mia. pro Jahr – ohne Konzept zur Gegenfinanzierung. Die Initiative ist nicht zielgerichtet. Einkommensstarke Familien profitieren stark, ärmere Familien aber kaum. Die Hälfte der Haushalte mit Kindern ist bereits von der direkten Bundessteuer befreit. Die Initiative greift unnötig in die Zuständigkeiten der Kantone und Gemeinden ein.

(www.vimentis.ch; red. tf)

DIESER ARTIKEL ERSCHIEN AM 17. FEBRUAR 2015 IM IDEA SPEKTRUM SCHWEIZ